Vor dem ersten Weltkrieg sorgte das Pferd ‚Hans‘ des Mathematiklehrers Wilhelm von Osten in Berlin für großes Aufsehen, da es anscheinend in der Lage war, u. a. selbst schwierige mathematische Aufgaben zu lösen und gestellte Fragen mit Nicken, Kopfschütteln und Scharren mit dem Huf zu beantworten. Dieses Pferd, ein Orlow Traber, wurde unter dem Namen ‚der kluge Hans‘[1] berühmt.

Zunächst vermutete man einen Trick des Mathematiklehrers und nahm an, dass das Pferd lediglich auf einstudierte Zeichen seines Besitzers reagiert. Wilhelm von Osten war jedoch felsenfest von den Fähigkeiten seines Pferdes überzeugt und es stellte sich heraus, dass dieses Pferd ebenso Aufgaben lösen konnte, die ihm von fremden Personen gestellt wurden. 

Schließlich setzte man im Jahr 1914 eine wissenschaftliche Kommission ein, um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Nach längerer Forschungsarbeit stellte sich heraus, dass dieses Pferd in der Lage war, selbst feinste Nuancen in der Körpersprache und im Gesichtsausdruck des Menschen zu erkennen und zu deuten. Bei Erreichen einer richtigen Antwort sendete der Mensch unbeabsichtigt durch Pheromone und seine Körpersprache Signale der Erleichterung oder Freude aus, die das Pferd in etwa 90% aller Fälle bemerkte und darauf entsprechend reagierte. Der so genannte ‚Kluger-Hans-Effekt‘ ging daraufhin als wichtige Erkenntnis für die unbewusste Beeinflussung eines Verhaltens in die Wissenschaft ein.

Diese Begebenheit zeigt deutlich, zu welchen erstaunlichen Ergebnissen das Zusammenspiel der hochsensiblen Sinnesorgane eines Pferdes führen kann. Dieses Pferd hatte lediglich noch gelernt auf die Wahrnehmungen seiner Sinne zu reagieren, bzw. diese Reaktion auch entsprechend zu zeigen.War es ein ‚Ausnahmepferd‘? Eindeutig nicht, oder nur soweit, als das Pferd gelernt hat, eine bestimmte Reaktion auf seine Wahrnehmung zu zeigen!

Man kann davon ausgehen – und weitere Studien bis in die jüngste Zeit belegen dies auch eindeutig – dass den Sinnen eines Pferdes menschliche Gefühle und Regungen nicht verborgen bleiben. Die Frage ist lediglich, ob und in welcher Weise ein Pferd auf diese Wahrnehmungen reagiert, diese Reaktionen zeigt und wir in der Lage sind, sie zu erkennen und auch zu verstehen.

Viele, manchmal auch aus der Sicht des Menschen unerwünschte Verhaltensweisen eines Pferdes beim Umgang oder beim Reiten erklären sich aus diesem hoch sensiblen Wahrnehmungsvermögen. Unsere unbewusst ausgesendeten feinsten Signale, wie Muskelverspannungen, Mimik und das Aussenden von Pheromonen etc. werden durch das Pferd unmittelbar registriert, interpretiert und führen gegebenenfalls zur sofortigen Anpassung seiner Handlungen an die von ihm erkannte Situation.

 [1] Hans Joachim Gross: Eine vergessene Revolution. Die Geschichte vom klugen Pferd Hans. In: Biologie in unserer Zeit. Band 44, Nr. 4, 2014, S. 268–272